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Der andere Weg zum Glück – die „Entgiftung für jeden Selbsthilfe-Junkie“

Bist du selber Schuld, wenn du nicht richtig glücklich bist? Und hast du je Bücher darüber gewälzt, Seminare gebucht oder bist in Selbsthilfegruppen gerannt? Dann stelle ich dir heute ein Buch vor, das du gelesen haben solltest: „Das Glück ist mit den Realisten“ von Oliver Burkeman. Das Buch ist wirklich sehr gut geschrieben, so viel schon mal vorab.

Funktionieren Selbsthilfebücher eigentlich? Oliver Burkeman glaubt nicht daran. Ich übrigens auch nur bedingt. Ich WEISS aber, dass „Glück“ sich immer gut verkauft. Schreibe Liebe oder Glück drauf – und Zack, verkaufst du gleich etwas mehr davon. So funktionieren wir.

Der Glückskult in unserer Kultur

Aktuell scheint „Glück“ ein Trend-Begriff zu sein, der gut verkauft. Denn wer wollte nicht glücklich sein. Glücklich sein bedeutet, keine Fehler gemacht zu haben und den anderen zu zeigen, sehr her, ich bin meines Glückes Schmied gewesen, alles war richtig, was ich getan haben. Dann kauft man sich ein Buch, ein Workshop, ein Urlaub – von Glück draufsteht oder inklusive ist – und ich fühle mich bestätigt. Nur mein Geld hat jemand anderer jetzt.

Insofern wird es Zeit, sich die Sache mit dem Glück mal näher anzuschauen. Wir haben viele Ansprüche ans Leben. Unser Job soll uns glücklich machen, unser Partner, unsere Familie, unsere Nachbarschaft, das Auto, der Urlaub, die Party, der Alkohol, der Workshop, Yoga und sogar unser Denken. Aber funktioniert das auch?

Burkeman findet, nur wenige der Vorteile des modernen Lebens sind tatsächlich in der Lage, unsere Stimmung zu heben. Wir können uns nicht einmal darauf einigen, was »Glück« bedeutet. Streben wir also vergeblich danach, oder gehen wir einfach nur den falschen Weg? Oliver Burkeman hinterfragt unser ständiges Bemühen, glücklich zu sein.

Seine Suchen nach einem alternativen Weg zur Zufriedenheit führten ihn in die abgelegenen Wälder von Massachusetts, wo er eine Woche an einem stillen Meditationsort verbrachte; nach Mexiko, wo der Tod nicht gemieden, sondern gefeiert wird; und in die bitterarmen Slums vor den Toren Nairobis, wo Unsicherheit die unausweichliche Realität des täglichen Lebens ist. Er traf moderne Stoiker, Spezialisten für die Kunst des Scheiterns, professionelle Pessimisten und andere Verfechter der Macht des negativen Denkens, von denen sich viele als überraschend fröhlich erwiesen. Kurzum: Oliver Burkeman hat nach einem Gegenmittel gegen den allgegenwärtigen Glückskult und die Doktrin des positiven Denkens gesucht und einen realistischeren Weg zur Zufriedenheit und ja, auch zum Glück gefunden.

Burkeman bringt ein buntes Roadmovie des Realismus mit sehr großer Tiefenschärfe, an dessen Ende man weiß, dass ohne Tiefen keine Höhen zu erreichen sind.

Buchkultur

Ich denke, also bin ICH

Das Ich will alles: Glück, Liebe, Erfolg. Und all die Glückscoaches, Gurus, Trainer und spirituellen Lehrer bedienen das Bedürfnis des Ichs, etwas besonders und vor allem endlich glücklich zu sein. Doch geht die Rechnung auf? Für das Ich wohl kaum, für die Coaches immer. Weil der Bedarf gigantisch ist. Und die Geschäfte auch.

Die Leichtgläubigkeit der Massen, insbesondere der psycho-spirituellen Szene ist erschütternd. Genauso wie die Gewinne, die mit dieser Leichtgläubigkeit erzielt werden. Warum ist das so? Genau dieser Frage widmet sich das Buch und setzt sich tatsächlich mit den wesentlichen Fragen des Ichs, der Glücksanspruchs und des Menschseins auseinander. Reicht es wirklich aus, positiv zu denken und alles fügt sich am Ende magisch zum Guten?

Es werden weite Bögen gespannt und die Thematik wird gründlich untersucht. Und das stets sehr unterhaltsam. Das ist das Besondere an Das Glück ist mit den Realisten. Der Autor nimmt sich Descartes vor, wie er das gemeint hat mit dem Ichsein und dem Denken. Existiert dieses Ich überhaupt so wie angenommen? Dieses Ich, das positiv denken soll, das glücklich sein will, dass sich selbst optimiert, um alles richtig zu machen und großartig zu sein. Es ist ungewöhnlich, dass in diesem Zusammenhang dieses kleine Ich, das wir alle mit uns heraum schleppen, infrage gestellt wird. In dem Buch dient dies der Vorbereitung des Gesprächs mit einem führenden „Guru“ der Esoterik- und Positives-Denken-Szene.

Oliver Burkeman weiß, was er tut und wie man sehr gut schreibt. Leichtfüßig, humorvoll und sehr klar beschreibt er unter anderem die Psychoszene, die sich wirklich jedem Mist – der als neue Erkenntnis, als neue Technik oder Wundertrick verkauft wird – an den Hals wirft und genau das verändert: nichts. Warum das so ist, darüber geht dieses Buch.

Überrascht stellte ich bei der Lektüre fest, dass Eckhardt Tolle in Vancouver, Kanada lebt. Ein Nebensatz, weil Autor Burkeman den Mystiker zu Hause besucht und interviewt. Ich war immer schon skeptisch was Tolle betraf, wusste aber fast nichts über ihn. Nur, dass er mit seinen Büchern, seinen Vorträgen und Auftritten sehr, sehr erfolgreich ist und seinen Vornamen vom mittelalterlichen Mystiker Meister Eckhardt übernommen ist. In dem Buch wird die Geschichte Tolles erzählt, was mich, wie gesagt, wirklich überrascht hat.

Man kann nicht sagen, dass Eckhardt Tolle als Realist gilt, aber er gilt als Zeuge dafür, dass die Identifikation mit dem „Ich“ das eigentliche Problem der Existenz ist. Dieses Ich, das immer etwas will, immer mehr will, das Glück will und Erfolg, wird niemals zufrieden sein und niemals erfahren, wer man wirklich ist. Aber ich will nicht zu weit vorgreifen. Burkeman dringt hier sehr tief in die Materie ein und erklärt das vom positiven Denken Übersehene.

Dabei nennt er auch die Sache mit der Sicherheit beim Namen. Dieses instabile Ich will um jeden Preis Sicherheit. Und ist dafür bereit jeden, wirklich jeden Unfug zu glauben und zu fühlen.

Realtismus und negatives Denken unerwünscht?

Das Glück ist mit den Realisten beschreibt gewissermaßen journalistisch all diese Phänomene rund um den Wünsch unbedingt glücklich sein zu wollen. Und das sehr ausführlich. Es ist ein populistisches Buch, es macht es dem Leser durch sein Detailreichtum nicht immer leicht. Nur durch den feinen Humor, der immer wieder durchscheint, wird die erstaunliche Stofffülle hier unterhaltsam und … lehrreich.

Die Perspektiven in diesem Sachbuch sind wissenschaftlich fundiert und beleuchten, ich möchte sagen, alle Aspekte der psychologischen Glücksucherei. Ein Zitat vom Ende dieses wundervollen Buchs: „Der KULT DES OPTIMISMUS und die Kultur des positiven Denkens zeichnen sich – sogar in ihrem mystizistisch eingefärbten New-Age-Varianten – letztlich dadurch aus, dass sie Sicherheit suchen und Glück zu etwas Dauerhaftem und Endgültigen machen. Aber selbst wenn man in den Genuss eines solchen Glücks kommt: Es wird immer oberflächlich und unbefriedigend bleiben.“

Wenn wir dem Geheimnis der Existenz, des Glücks und des Lebens wieder den Raum schenken, den es tatsächlich hat, dann brauchen wir das positive Denken, in der Form, in der es uns eingetrichtert wird, nicht mehr. Dann geht es nicht ums andauerndes Glück. Und daher – das ist MEINE Schlussfolgerung – brauchen wir keine Gurus und keine Coaches, an deren Lippen wir hängen und denen wir kritiklos folgen – die stets unser Bestes wollen: unser Geld! Behaltet das Geld und lebt euer leben. Und wenn ihr etwas Zeit findet, lest dieses Buch!

Das Glück ist mit den Realisten. Warum positives Denken überbewertet ist

von Oliver Burkeman
288 Seiten,  Piper Verlag (28. September 2023)
ISBN 3492072615
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Eine herrliche Synthese gesunden Menschenverstands, die einer erfrischenden Entgiftung für jeden Selbsthilfe-Junkie gleichkommt.

The Guardian

Leseprobe Das Glück ist mit den Realisten

Oliver Burkeman, geboren 1975 in Großbritannien, ist ein preisgekrönter Feuilletonist. Für den Guardian schrieb er viele Jahre eine wöchentliche Kolumne. Seine Arbeiten sind darüber hinaus in der New York Times, dem Wall Street Journal, Psychologies und New Philosopher erschienen. Bei Piper erschien zuletzt sein SPIEGEL-Bestseller »4000 Wochen«. Burkeman lebt in New York City.

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