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Die letzte und umfassendste Kränkung der Menschheit und die 21 Neurosen des Homo Digitalis

Es ist immer noch ein Rätsel, weshalb die Pioniere der Kommerzialisierung des Internets immer noch als Vorbilder gelten. Den langen Schatten, den sie persönlich schlagen wird fast vollends ignoriert. Und die Schatten, die insbesondere die extrem kommerzialisierten Sozialen Netzwerke zeigen, sind zwar auf dem Radar, aber so richtig verstanden haben wir die Sache noch nicht. Dabei hilft dieses Buch, Die Psyche des Homo Digitalis, in dem es 21 Neurosen, die uns im 21. Jahrhundert herausfordern, beschreibt.

Eine Neurose des Homo Digitalis ist „die omnipotente Neurose“, das „Vollkommenheitsstreben“, die durch die gigantischen Gewinne, die im Internet erzielt werden in der Mischung mit dem hemmungslosen Narzissmus, den etwa Instagram (Facebook) oder die elitären und überteuerten Produkte von Apple heraufbeschwört, befördert wird. Der Autor beschreibt hier, wie „eine idealisierte Selbst- und Weltsicht alle stresst“ und über das „aufgeblasene Über-Ich“. Es ist wichtig, das zu reflektieren, dass jeder Social-Media-Nutzer sich diesen Wirkungen bewusst ist – und seinen Humor nicht verliert …

Johannes Hepp erklärt, wie man die Zusammenhänge der digitalen Welt erkennt, wie man gegensteuert und warum Humor noch immer die beste Widerstandshandlung ist.

Kurier, 12. September 2022

Welche Wirkungen die Digitalisierung auf unsere Psyche hat

Der Psychologe und Psychotherapeut Johannes Hepp zeigt in seinem Buch »Die Psyche des Homo Digitalis«, was uns im Zuge der rasant voranschreitenden Digitalisierung neurotischer werden lässt, welche Gründe dafür verantwortlich sind, wie wir uns dieser Entwicklung bewusst werden und wie wir selbstbestimmt und selbstwirksam gegensteuern können.

Unterteilt in Liebe, Arbeit und Sinn stellt Hepp dazu 21 Neurosen des 21. Jahrhunderts vor. Er spannt dabei einen Bogen von Internet- und Online-Sexsucht, Beziehungsängsten und wachsender Einsamkeit (trotz globaler Vernetzung), von der Dating- und Profilneurose über Erziehungswettstreit und krank machenden PerfektionismusSelbstoptimierungs- und Einzigartigkeitszwängen bis hin zu den Ewigkeitsversprechen der Altersforschung und neuen Datenreligion. 

Damit wir zu diesen schwindelig machenden Prozessen ein gesundes Verhältnis entwickeln können, liefert der Autor für unsere Turbozeit aus Bits und Bytes eine scharfsinnige, aber auch hoffnungsfrohe und humorvolle Auseinandersetzung. Durch konkrete Hinweise, persönliche Erfahrungen und Beispiele aus der psychotherapeutischen Praxis hilft Hepp dabei, unsere psychische Widerstandskraft zu stärken und heil durch den digitalen Dschungel zu finden.

Interview mit dem Psychoanalytiker Johannes Hepp zu seinem Buch

Johannes Hepp, geboren 1969 und Vater von zwei Söhnen, arbeitet als Psychologe, systemischer Paar- und Familientherapeut und Psychoanalytiker in eigener Praxis in München. Er studierte Philosophie im Kongo, lernte von Otto Kernberg in New York, studierte das Leben als freier Künstler in Buenos Aires, interessierte sich als Fotojournalist und scharfer Beobachter für die Abgründe des Lebens und war als psychologischer Sachverständiger für Familienrecht in Bayern tätig – und verlor dennoch nie seinen Humor.

Was motivierte Sie, dieses Buch zu schreiben?

Ich erlebte in der Praxis, dass mich immer mehr Patient*innen nach einem Buch fragten, das nicht nur einen Teilaspekt der digitalen Revolution oder eine spezifische Gegenwartsneurose behandelt. Also habe ich versucht, ein Buch zu schreiben, das einen umfassenden Blick auf unsere Zeit und unsere Sorgen und Nöte bietet, inmitten dieser vierten industriellen Revolution. Ein Buch, das all die vielfältigen Hintergründe für die Belastungen so erklärt, dass der Weg heraus selbsterklärend wird. Eine psychologische Zeitanalyse als Hilfe zur Selbsthilfe sozusagen.

Was macht den Homo Digitalis im Kern aus?

Ich vermute, wir haben dieselben alten Sehnsüchte und Urängste, wie sie der Homo sapiens immer schon hatte: ein würdevolles Dasein mit genug für alle, Liebe und Geborgenheit, eingebettet in eine Gemeinschaft, mit ausreichend Anerkennung und irgendeiner Form von Expertise. Doch wir verlieren diese zentralen Sehnsüchte und Bedürfnisse aus dem Blick, weil wir unentwegt auf Displays starren und uns mit der ganzen Welt vergleichen. Zeitgleich werden zum ersten Mal in der Menschheitsgeschichte die Ressourcen des Planeten knapp. Und schon immer war die Vernunft das Bindeglied, um gemeinschaftlich, entschlossen und klug zu handeln. Also versuche ich mit meinem Buch die Vernunft zu stärken.

Was raten Sie uns im Umgang mit der Digitalisierung?

Weniger auf Displays und mehr in Augen schauen. Weniger googeln und mehr nachdenken. Weniger chatten und mehr umarmen. Weniger eintippen und mehr erkunden. Mehr auf der Parkbank hocken und weniger zocken. Weniger kommentieren und lamentieren, sondern mehr selbst erleben und selbstwirksam dirigieren, das eigene Leben selbstbestimmt führen. Mehr Begegnungen mit leibhaftigen Menschen, echten Tieren und der heilsamen Natur – und nicht alles nur vom Hörensagen her kennen und als stille Post weiterleiten. Und einen Sinn im Leben finden, jenseits aller Rankings und des Online-Angebens – und mein Buch lesen natürlich.

Meine Meinung zum Buch

Ich will gar nicht so viel dazu sagen. Das Thema ist wichtig und unglaublich spannend. Man muss nicht jeder Diagnose übernehmen oder kritiklos stehenlassen. Das muss jeder für sich selber entscheiden. Ein Blick hinein lohnt sich und ich finde Die Psyche des Homo Digitalis absolut lesenswert.

Ich will aber noch etwas vom Anfang dieses Buches zitieren. Es handelt dabei um „die letzte und umfassendste Kränkung der Menschheit“. Ein schweres Geschützt, das der Autor hin anbringt. Aber er wäre kein Psychoanalytiker und auch kein „psychologischer Sachverständiger für Familienrecht“, wenn es ihm nicht leicht fiele, schwere und schwerste Geschütze – sprich Diagnosen – in Stellung zu bringen. Seine Zunft lebt auch davon, das dürfen wir dabei nicht vergessen. Das bedeutet ja nicht, dass die schwergewichten Aussagen immer unzutreffend wären. In diesem Fall ganz sicher nicht.

Denn diese Kränkung ist jene durch „Steve Jobs (1955 – 2011), Mark Zuckerberg oder Bill Gates. Denn unser Smartphones kann mehr als wir, und Apple oder Facebook kennen uns besser als unsere Mütter (was für eine Kränkung), ja, besser als wir uns selbst kennen. Das belegen sogar wissenschaftliche Studien, von denen wir noch sprechen werden. Denn die großen Datenmonopolisten kennen inzwischen sogar unsere unbewussten Triebe, Wünsche und Gefühle.“ Was zu beweisen wäre.

Der Fokus liegt, wie in Psychoanalyse und Psychologie klar auf den Defiziten. Das ist auch in Ordnung. Nur müssen wir es richtig zuordnen. Denn es gibt auch viel Licht, wo viel Schatten ist. Und wie erklärt, ist es die freudsche Psychoanalyse, die nicht kleckert, sondern klotzt mit Pathologisierungen. An dieser Stelle halte ich sie für betriebsblind. Ob der Autor dies ist, kann ich nicht beurteilen. Ich habe hier lediglich ein lesenswertes Buch vorliegen, aus dessen Inhalt ich einige Erkenntnisse und vielleicht sogar Konsequenzen ziehen kann. Aber dem ich auch mit einer gesunden Skepsis oder einem gewissen Abstand zu begegnen weiß. Probiert es mal „mit anschaulichen, unterhaltsamen Beispielen aus der psychologischen Praxis“.

Die Psyche des Homo Digitalis- 21 Neurosen, die uns im 21. Jahrhundert herausfordern

von Johannes Hepp
Buch hier kaufen
416 Seiten, Kösel-Verlag (2022)
ISBN 3466347912
Gebundene Ausgabe 22,- Euro

Hepps Buch … ist eine Analyse unseres digitalen Gesamtzustandes mit der ganzen Wucht von Sigmund Freud.

 Süddeutsche Zeitung, Feuilleton

Leseprobe Die Psyche des Homo Digitalis

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